„Groß und Klein und Obendrüber“

 Ausstellung im Haus der Stadtgeschichte Offenbach

17.August 2014

 

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Andreas Masche widmet sich in Malerei und Zeichnung den ausgemusterten oder einer neuen Bestimmung zugeführten Gebäuden als Zeugnissen einer vergangenen öffentlichen oder industriellen Nutzung. Die hier gezeigten Zeichnungen und das Acrylgemälde entstanden in einer Fabrikationshalle der Metallbaufirma Fredenhagen in Offenbach. Seit der Insolvenz der Firma ist die Halle leer oder wird als Eventhalle zeitweilig genutzt.

Mit zarten Bleistift- oder Finelinerstrichen sind Details des Innenraumes festgehalten. Installationen elektrischer Leitungen, Schaltkästen, Wasserrohre in ihrer geordneten Anbringung zeugen von dem technischen Knowhow der einstigen Nutzer. Dieser inzwischen wertlosen Leistung von Technikern und Handwerkern nachzuspüren und die Ästhetik solcher Anlagen festzuhalten gilt die Herausforderung. Andreas Masche vereint dabei auf demselben Blatt verschiedene Blickwinkel, die durch unterschiedliche Farben kenntlich gemacht sind. Er untersucht die Veränderung der Wahrnehmung bei einer nur leichten Verschiebung der Position des Betrachters. Dabei bleibt eine Stelle als Haltepunkt immer fixiert. Dies ist der Versuch mit einem statischen Medium wie der Zeichnung Bewegung im Raum anzudeuten.

Der gleichen Technik bedient er sich auch bei seinem zeichnerischen opus magnum, der Ruine des Frankfurter Uniturms mit dem Titel „Inside = Outside = Inside“. Auch hier kennzeichnen verschieden farbige Linien unterschiedliche Blickwinkel. Aus dem verwirrenden Liniengefüge löst sich bei konzentrierter Betrachtung zunächst die Gestalt der fast die gesamte Höhe der Zeichnung einnehmenden Bäume, dann erkennt man in der unteren Bildhälfte die Umrisse des Baggers, der zum Aufräumen des Schuttberges eingesetzt ist und dann schließlich die zusammengesunkenen Reste des Gebäudes, obenauf liegend einige Fensterrahmen. Auch hier interessieren Andreas Masche wie er selbst einmal sagt „die Prozesse des Zerstörens und Aufbauens, des Erinnerns und Vergessens.“ ...

 

Brigitte Bösken - Grimm

Innen- und Außenansicht

im Atelier ohne Kandelaber

 

Himmel Kornblumen

im weinroten Pullover

mit Schürze & Maske

stapelt der Maler

Stühle

aufeinander 

auseinander

vergoldet 

Sessel

aus PlexiglasResten

zeichnet

Lichtstreifen im Ruß

 

Ruine und Fenster

Fredenhagen*

 hier und dort

von den Planken

bis in den Dachboden

rakeln Farbproteste

in der 

Villa eines 

Champagnerfabrikanten

Corona war gestern

heute ist Krieg 

 

 

Katharina Eismann, März 2022,

 

*Bild, Andreas Masche, Verlassene Industriestandorte

Andreas Masche - Farbklang der Räume

Volksbank Dreieich - Sprendlingen

1.Oktober 2019 bis 9.Februar 2020

 

Ein Thema, das Andreas Masche in seiner Kunst immer wieder beschäftigt, ist das Thema Zeit. Die Zeit in ihren verschiedenen Ausprägungen. Es ist die Zeit an sich, die wir an der Uhr ablesen können und die immer weiterläuft, die Zeit, die Geschichte im allgemeinen und individuelle Geschichte eines Menschen, hervorbringt. Zeit - die Zeit verbringen, Zeit nutzen und Lebenszeit bedeutet.

 

So entstehen die Serien, die er nach dem Zeitraum betitelt, in der er sie gemalt hat:

Es sind die Serien 1 Jahr und 24 Stunden. Bei der Serie 1 Jahr malte er ein Jahr lang, in einem freien zeitlichen Rhythmus, ein Bild nach dem anderen - er erfasste in verschiedenen Techniken, was als Impuls kam. Chronologisch setzte er dabei ein Bild neben das nächste auf Din A 4-Blätter, immer vier Bilder pro Blatt und folgte so der Prämisse 'Kein Bild steht für sich allein, jedes hat eine Geschichte und wartet auf das nächste'. Das einzelne Bild hat ein 'Vorher' und ein 'Nachher' und steht nicht isoliert, sondern ist Teil einer künstlerischen Entwicklung. Jedes Bild ist sozusagen ein Schritt zum nächsten und somit an seine drei Nachbarn gebunden.

Dieser Serie folgt, auf einen viel kleineren Zeitraum beschränkt, die Serie 24 Stunden. In 24 Stunden, um 0 Uhr beginnend, entstand eine Serie, die aus postkartengroßen Bildern besteht, die zu jeder vollen Stunde gemalt wurden. Stündlich entstand ein Bild, zum Beispiel, wie wir es hier in der Ausstellung haben, seiner Füße. Der Gedanke dahinter ist, zu sehen oder sich zu fragen: wie verändert sich etwas von Stunde zu Stunde?

Dabei wirft er jedoch nie einen Blick auf das vorherige Bild, sondern arbeitet losgelöst von den vorher entstandenen Bildern. Er hat 24 Stunden Zeit zu malen, zu denken, zu machen, doch zwischen der Entstehung der Bilder gibt es auch viel Zeit - es gibt die Pausen nach dem letzten und vor dem nächsten Bild. Was ihn dabei reizt ist, zu sehen wie er seine Zeit in den Pausen verbringt oder füllt, in denen er nicht malt, aber auch nicht wirklich etwas Neues anfangen kann, weil ja zur vollen Stunde das nächste Bild zu erschaffen ist.

 

Andreas Masche arbeitet direkt vor dem Objekt, er verlässt das Atelier, um zu malen oder zu zeichnen. Er geht in die Stadt oder die Natur, läßt sich von Wind und Wetter, von Verkehr und Alltagssituationen beeinflussen und einfangen. Er spürt - erspürt so seine Umgebung und lässt dies in seine Werke einfließen. So hat er zum Beispiel in den Feldern bei Götzenhain die Natur gemalt und in der Taunusstraße in Frankfurt Straßenszenen festgehalten, die die Lebendigkeit und Quirligkeit, die Schnelligkeit und Buntheit der Stadt einfangen.

 

2003 geht Andreas Masche mit Malutensilien bewaffnet in die U-Bahn Frankfurts, um zu malen. In der U-Bahn und den Stationen erfasst er mit Öl auf kleinen Sperrholzplatten alltägliche Szenen. Die Farbe stand neben ihm, die Palette hielt er in der Hand. Ein Kind schaute ihm einmal zusammen mit seinem Vater beim Malen über die Schulter, beide waren begeistert von dieser Aktion. Andere Menschen schauten skeptisch, waren misstrauisch oder taten so als würden sie ihn nicht bemerken. Die Reaktionen der Menschen waren für ihn sehr interessant, aber teilweise auch ernüchternd.

 

Seit jeher ist Andreas Masche fasziniert von urbanen Räumen und Gebäuden, die alt sind und zu verfallen drohen und deren Bestimmung wirtschaftlich wie auch kulturell neu definiert wird. Es entstehen Werke, die die Prozesse der Zerstörung und des Aufbaus, des Sich-Erinnerns und Vergessens zum Thema haben. Er beschäftigte sich zum Beispiel mit der Großmarkthalle in Frankfurt. Sie war unter anderem das Zentrum des lokalen Gemüsehandels, die sogenannte ‚Gemieskirch‘, und prägte ein ganzes Stadtviertel. Kurz vor dem Umbau 2007 hatte Masche Zugang zu der Halle. Er malte, zeichnete und fotografierte und genoss die Ruhe in diesem einst so belebten Gebäude. Er sah wie die Sonne durch die alten Fenster in die lange, weite Halle strahlte und ihr noch für kurze Zeit einen goldenen Glanz verlieh. Hier herrschte wirklich ein ganz besonderes Licht, da der Architekt spezielle Filter in das Glas der Fenster integrieren ließ. Dieser sollte das Fleisch roter und das Obst und Gemüse intensiver in der Farbigkeit erscheinen lassen. 

Masche spürte der Geschichte des Gebäudes nach und erforschte die Räumlichkeiten. In der Halle wurden Waren verkauft und auch vor ihr machte die Geschichte nicht halt. Einige Kellerräume wurden Anfang der 1940er Jahre zum Sammelplatz der Frankfurter Juden und der Juden aus der Umgebung, die von hier aus deportiert wurden. Heute erstrahlt die Halle als ein Teil der neuen Europäischen Zentralbank in einem neuen Glanz. Der Lauf der Geschichte und der Wechsel der Bestimmung eines Gebäudes, die Andreas Masche, wie wir noch sehen werden, auch künstlerisch verfolgen wird.

Weitere Arbeiten alter Industriegebäude entstanden in der Alten Saline in Hallein, in den Räumlichkeiten der Firma Fredenhagen in Offenbach und im ehemaligen Badehaus der früheren Hoechst AG.

In der Großmarkthalle und in den Räumlichkeiten der Firma Fredenhagen hat er als junger Erwachsener gearbeitet, das heißt, er kennt diese Orte als belebte, aber nun auch als vergangene, ihres Zweckes beraubte Orte. Masche entdeckt in der Vergänglichkeit die Ästhetik, die die Geschichte eines Gebäudes oder eines Gegenstandes hervorbringt und die es wert ist, weiterhin erzählt zu werden. Er arbeitet damit für das 'Nicht-Vergessen' UND das 'Sich-Erinnern'.

 

2014 lernt Masche die Technik der Monotypie kennen, ist fasziniert von ihr und experimentiert seitdem mit ihr. Einige kleinere Werke dieser Technik sehen wir hier unten in dem Raum ganz links. Er entwickelt für sich die Technik der Monotypie weiter und im ersten Stockwerk können Sie Werke in einer Mix Media-Technik hinter Plexiglas sehen. In diesen Werken begegnen wir  erneut den Gebäuden der Großmarkthalle und  Fredenhagen. Beide Gebäude faszinieren ihn noch immer und er transferiert sie in in eine neue Farbigkeit. Er erfasst Details der Gebäude und abstrahiert sie. Die Atmosphäre wird eine gänzlich andere. Masche hat es mit diesen Werken geschafft einerseits die Geschichte der Gebäude zu bewahren und andererseits auch die neuen Aspekte der Nutzung der Gebäude in seine Kunst zu integrieren. Er hat sie aus der Vergangenheit gelöst und in die Gegenwart übertragen. Mit diesen Werken Masches beginnen die Gebäude eine neue Ära ohne sich von ihrer Vergangenheit lösen zu müssen.

 

Ich möchte mit einem Zitat des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard enden:

 

'Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden.'